„Plong“ machte mein Handy und bestätigte mir: Der Standort wurde gesendet. Ich steckte das Handy zurück in die Hosentasche und schloss mit schnellen Schritten wieder zu der Gruppe auf. Am Mittwochmorgen war der Franzose Eliott unser Guide und führte uns gerade durch den, ökologisch besonderen „Sand Forrest“, als wir, neben zwei Giraffen und einem Zebra, auf einen Schwarm Bienen im Wald gestoßen waren, der gerade schwärmend ein neues Zuhause suchte. Ich erinnerte mich an Grahams Bienen Projekt und dass er immer auf der Suche nach wilden, heimischen Bienen war. „Die wilden Bienen sind halt viel besser an die jeweilige Umgebung angepasst“ hatte er damals erläutert. Also hatte ich Graham den Standort der Bienen geschickt. „Er wird sich sicher freuen“.
“Man hat oft Angst vor etwas, was man nicht kennt. Doch die Angst verschwindet dann, wenn man Sachen kennenlernt und sie versteht. Also beschäftigt euch mit dem, was euch Angst macht“. [Olga Heibel]
Neben dieser Weisheit, aus Olgas Munde, war der Rest des Mittwochvormittages erstmal unspektakulär. Olga hielt einen Unterricht in „Taxonomie“ und wir bekamen die Aufgabe, wieder in Gruppenarbeit, die ersten „Spezies Profile“ anzufertigen. Eines digital, eines auf Papier und eines als Video. Wie passend, dass wir Jona als Filmer und mich als „Künstler“ in der Gruppe hatten. Während sich Jona dem Curry Bush und Joss dem „Buffalo Thorn“ widmete, setzte ich mich, inspiriert von Grahams Erzählung, an eine Zeichnung des Nashorns. Ich hatte lange nicht mehr wirklich gezeichnet, aber schon lange vorgehabt, mal wieder mehr zu machen. Dies war eine tolle Gelegenheit.
Ab 17:30 Uhr wurde es spannender, denn es hatte sich „hoher“ Besuch im Camp angemeldet: Sarah Ferguson. Ehrlich gesagt musste ich erstmal Googlen, wer sie eigentlich ist. Dann war ich aber nicht minder beeindruckt:
Sarah Ferguson ist eine ehemalige Südafrikanische Profisportlerin, extreme Ausdauerschwimmen und die erste Person, die die 63 Kilometer am Stück um die Oster Inseln geschwommen ist – um auf die Plastikverschmutzung der Weltmeere aufmerksam zu machen. Mehr erfährst du hier.


Eine starke Person mit einer starken Geschichte. Sarah war nun hier im Camp, da sie ab Donnerstagmorgen eine weitere Schwimmaktion ab Sodwana Bay starten wollte: Vier Tage, a fünzig Kilometer im offenen Meer. Mir war klar: Ich musste auf jeden Fall mit Sarah Kontakt aufnehmen und versuchen, sie für ein Interview über Stärke zu gewinnen!
Nachdem wir alle gemeinsam im großen Gemeinschaftssaal Spagetti Bolognese gegessen hatten, versammelte sich die Bhjane Studenten vor dem Fernseher, um Sarahs Dokumentation “Against the Current” über ihr Projekt anzusehen. Sarah und ihr Team begannen derweil, ihr, vor dem Gebäude abgestelltes Boot für den nächsten Tag vorzubereiten.
Ich hatte eigentlich vorgehabt, ebenfalls die Dokumentation anzuschauen. Doch da die Internetverbindung so miserabel war, dass der Film ständig stockte, stand ich irgendwann auf und begab mich nach draußen, um mir die Vorbereitung des Teams zu beobachten und vielleicht eine günstige Gelegenheit für ein Ansprechen zu erhalten.
Draußen war es noch angenehme 23 Grad warm und als ich um die Gebäude herumschlenderte, traf ich auf eine, für mich starke, inspirierende Szenerie:
Es war dunkel. Das kleine blaue Schlauboot stand, vom Scheinwerferlicht eines Pickups beleuchtet, auf einem Trailer direkt vor dem Gebäude, während Sarah und ihr Team geschäftig allerlei Sachen vom- und auf das Boot hievten, Autotüren öffneten und schlossen und mittels lauten Rufen miteinander kommunizierten. An sich erstmal nichts Besonderes.
Doch ich konnte die „Abenteuer-Energie“, die Stimmung des Aufbruches gerade zu greifen. Da mir dies nicht als die richtige Situation erschien, um ein Gespräch anzufangen, lehnte ich mich einfach in einigen Metern Entfernung an einen Baum, fühlte die Stimmung und war ein Stück weit ein Teil davon. Doch je länger ich dort stand, desto mehr machte sich in mir eine Sehnsucht breit: Sehr gerne wäre ich jetzt mit dabei! Nicht beim Schwimmen. Aber bei solch einer Aktion an sich. Dieses “kurz davor” das ist toll! Dies will ich auch – glühte es schwer und deutlich in meinem Herzen.


Nachdem alles verpackt wurde, sammelten sich das Team und Sarah im Sozialraum und es begann eine kleine, familiäre Talkrunde. Insbesondere die Studenten des Marine Kurses hatten viele, teils wirklich spannende Fragen und Sarah und ihr Team waren bemerkenswert aufgeschlossen und geduldig. Bemerkenswert daher, da sie ja am nächsten Tag eine große Aktion vor sich hatte und es durchaus verständlich gewesen wäre, wenn sich dann keine Lust auf eine Talkrunde hätte. Hatte sie aber. Auch ihr restliches Team war aufgeschlossen und sehr interessant. Da die Gewässer Südafrikas von Haien bewohnt wurden, hatte sie als „Shark Spotterin“ Jess Escobar-Porras mitgenommen, eine Wissenschaftlerin, die sich auf Haie spezialisiert hatte. Es gab einen “Sicherungspaddler”, Andy Coetzee, der Sarah die ganze Zeit mit dem Kajak begleitete, den Skipper Emil Pirzenthal und die Biologin Natalie dos Santos, die sich auf Schildkröten spezialisiert hatte. In dem Fall nicht ganz sooo wichtig, aber sie stellte das Boot bereit und war hier als ein „Mädchen für alles“ und zweiter Skipper dabei.
Am Ende hielt der Andy, ein schlanker, braun gebrannter Mann in den späten Fünfzigern, noch eine inspirierende Rede für die Studenten des Marine-Kurses, eingeleitet von der Frage, wo sie glauben, später mal einen Job zu bekommen?
„Die Möglichkeiten des Marine Guidings sind doch sehr sehr begrenzt“ führte er aus und erläuterte weiter: „Ihr müsst euch euren Arbeitsplatz selber schaffen. Etwas aufbauen. Verlasst euch nicht darauf, Angestellt zu werden. Das wird eher nichts in dem Sektor. Gründet selber. Schaut euch das Shark-Diving an. Das gab es vor einigen Jahren noch gar nicht. Nun ist es in Südafrika eine ganze Industrie. Sucht euch auch eure Nische und macht es selber“.
„Stark“ dachte ich. Es war eine starke Rede, nicht nur für die Marine Studenten. Viele Südafrikaner an sich hatten bereits eine andere Einstellung zum Arbeiten als die Deutschen. Aufgrund mangelnder Möglichkeiten in Südafrika war die Option, hier etwas selber aufzubauen, viel präsenter als in Europa. Viele der jungen Studenten hier hatten mir bereits gesagt, dass sie auf lange Sicht eine eigene Firma gründen wollten, um dann eigene Touren anzubieten.
Von den restlichen Fragen und den Antworten bekam ich allerdings leider nicht so viel mit, wie ich gerne hätte. Viele Fragende sprachen sehr leise, dafür waren die Umgebungsgeräusche sehr laut und mein Englisch war schon besser geworden, für solch eine Situation immer noch nicht ausreichend. Eine schlechte Kombination.
Es wurde immer später und mir wurde klar, dass es nun langsam mal an der Zeit wurde, Sarah nach dem Interview zu fragen.
Dann bemerke ich etwas Merkwürdiges: Am Nachmittag war ich noch voller Tatendrang und es war mir völlig klar, dass ich sie um ein Interview bitten würde. Doch jetzt, hier in ihrer Nähe, fühle ich auf einmal einen wachsenden Widerstand in mir, ja fühle mich regelrecht gehemmt. Das lag vor allem an der mangelnden Gelegenheit einer „persönlichen“ Begegnung im kleinen Rahmen. Sarah saß zwar auf einem Barhocker am Rand, doch durch die auf sie fokussierte Aufmerksamkeit aller war eine Art „Bühnensituation“ entstanden. Wollte ich die nun ansprechen, musste ich ebenfalls diese „Bühne“ betreten und hatte die Aufmerksamkeit der aller Anderen ebenfalls sicher. Ich habe tatsächlich kein Problem in die Öffentlichkeit zu treten und vor vielen anderen zu sprechen und mich selbst zu behaupten. Dies habe ich schon oft gemacht. Doch nun verspürte auf einmal eine Hemmung, mein Anliegen und damit verbunden meine Story, vor den Ohren aller zu eröffnen, denn dieses Mal war es anders. Dies war Neuland und ich hatte mich noch nicht in der Rolle des Interviewers gefunden. Mir fehlten hier die Erlebnisse, die erlebten Erfahrungen. Mir fehlte doch tatsächlich das Selbstvertrauen in diesem Bereich. Die Bitte um ein Interview mit einer für mich derart interessanten Persönlichkeit war definitiv außerhalb meiner Komfortzone und dies wollte nicht mit ALLEN hier im Camp teilen.
Plötzlich stand sie auf und verabschiedete sich herzlich.
„Jetzt oder nie…“ sagte ich zu mir selber. Sie öffnet die Tür direkt neben ihr –
„..schneeeell!..“
– sie verließ den Raum –
„…looooos!…“
Ich stand von meinem Platz, am anderen Ende des Raumes auf und folge ihr, während alle anderen sitzen blieben und ihr, und nun mir, hinterher schauten. Als ich aus dem Türrahmen trat hörte ich gerade noch, wie die Motoren gestartet wurden und dann brausten die Autos auch schon den roten Sandweg hinunter. “Das ging dann jetzt aber flott” sagte ich zu mir, etwas verdattert. Ich hatte irgendwie damit gerechnet, dass die Gruppe noch etwas an den Autos verweilen würde.
Nun stand im Dunkeln vor dem Gebäude in der Mitte des Sandweges und schaute den Lichtern der Kolonne hinterher, sah, wie die roten Rücklichter und die weißen Lichtkegel, die die rote Erde beleuchten, immer kleiner wurden und dann in einer Kurve und hinter den Bäumen verschwanden.
Mission failed!
Unvermittelt fühle ich mich, wie in einem Computerspiel aus meiner Jugend, als ich eine wichtige Mission nicht geschafft hatte, weil ich zu langsam gewesen war.
„MISSION FAILED“ erschien vor meinem inneren Auge und legte sich, zusammen mit einem ganz bestimmten Geräusch, in die Szenerie.
FUCK! Ich ärgerte mich. Ich ärgerte mich über mich selbst und mir wurde eines auf einmal ganz klar: Ich stand noch immer nicht voll hinter meinem Interview und den Fragen. Ich war davon selbst noch nicht zu einhundert Prozent überzeugt und daher immer noch so unsicher, dass ich mich allein von der Anwesenheit anderer beeinflussen und abhalten ließ. Ich hatte also noch Angst. Ich erinnerte mich an Olgas Worte vom Vormittag und auch wenn sie vielleicht anders gemeint waren, so passten sie doch wunderbar zu meiner Situation:
Ich hatte Angst, weil diese Situation, dieses Interview für mich unbekannt war. Ich hatte noch nie ein Interview mit diesen Fragen zu dem Thema „Stärke“ mit einer wirklich relevanten Person geführt. Weder auf Deutsch, noch auf Englisch.
Um diese Angst zu besiegen gab es nur eine Möglichkeit: Ich musste mich ihr stellen und es tun. Ich musste dieses Interview machen!
Erfahre mehr über Sarahs Organisation Breathe Conservation hier
Buchtipp: Swimming easter island: