Weiß zogen die Staubschwaden wie an einer Schnur in das kleine Tal hinein, während langsam und mechanisch das Hacken einer Schaufel zu vernehmen war. Es waren mittlerweile weitere fünf Tage vergangen, fast 06:00 Uhr und Wynand war scheinbar schon eine ganz Weile wach. Rhythmisch schippt er einen riesigen Haufen kalter Asche von zwei Wochen Lagerfeuer in ein zuvor gebuddeltes, Grab ähnliches Loch.
Die Feuerstelle war aufgeräumt und gleichmäßige Streifen der Harke erinnern ein wenig an einen japanischen Zengarten. Aufbruchstimmung lag in der Luft, doch noch war es ruhig und harmonisch, denn außer Wynand und mir war noch keiner auf den Beinen. Heute war der Tag der Abfahrt und wir konnten daher etwas später als üblich aufstehen. Konnten.
Aber den letzten Sonnenaufgang hier im Busch ließ ich mir nicht hingehen! Die Sonne war noch nicht voll aufgegangen, aber es war bereits hell und der Himmel im Osten färbte sich schon creme-orangefarben. Die tagaktiven Vögel gaben bereits ihr Bestes und trällern laut ihr Lied. Ansonsten war es ruhig – bis eben auf das gleichmäßige Klacken der Schaufel.
Zwölf Tage Wildnis und Camp-Life lagen hinter mir und dies waren meine letzten Tage hier Wildnis Camp gewesen. Ich hatte mittlerweile gefühlt jeden Stein in diesem Game Reserve gesehen und es war zu einer Art zuhause geworden. Die anfängliche, überladene Begeisterung war einer ehrfürchtigen Routine gewichen. Diese Gegend, die Tiere, die Pflanzen und die Sonnenauf- und Untergänge waren immer noch besonders – gleichzeitig aber „normal“ geworden. Nach mittlerweile insgesamt vier Wochen war diese Wildnis zu einer Art (außer-) gewöhnlichem Alltag und Zuhause geworden.
Die Wege waren mir bekannt geworden, ich waren orientiert und wusste, wo welche Tiere, Pflanzen und Steine zu erwarten waren. Doch besonders bemerkenswert war, dass die Wege nicht mehr nur unpersönliche, einfache Flächen zur Fortbewegung waren. Die Wege, Kreuzungen und Täler hatten wahrlich „Charakter“ bekommen, erzählten nun Geschichten. Sie hießen nun „Bhejane Bay“, „Elephant Elli“, „Buffalo spring“ oder „Lion Lane“. Ein wenig wie in meiner früheren Zeit als Streifenpolizist, unterwegs in meinem Revier. Dort wurde im Laufe der Zeit auch an jede Ecke und Straße ein Erlebnis produziert. Dort waren die Wege nach einiger Zeit auch so viel mehr geworden, als einfach nur eine öffentliche Straße oder ein anonymer, neutraler Platz.
Die letzten zwei Wochen hier in der Wildnis waren prägend und wir hatten uns alle stark entwickelt. Ich dachte zum Beispiel vor Südafrika, ich wäre nicht zimperlich. Ich habe erkannt, dass ich es doch war. Aber das Leben in Kuleni im Bhjane Camp und vor allem die ersten diese vier Wochen in der Wildnis, haben meine Sensibilität dann ordentlich heruntergesetzt. Nach drei Wochen Wildnis, eine Woche „NQF2 Practical“ war bereits vergangen, hatte sich dann mein Geist vollkommen an die Wildnis gewöhnt. Das war ein krasses Gefühl.
Die größte Entwicklung hatte allerdings woanders stattgefunden. Hatten wir vor diesen letzten zwei Wochen noch unter der grauen, „sterilen“ Theorie im Klassenraum gelitten, hatte sich hier für viele einiges zusammengefügt. Ich für meine Person hatte unheimlich viel in den letzten vierzehn Tagen gelernt. Viel mehr und viel schneller als in Kuleni in den Klassenräumen zuvor – und das auch noch fast automatisch und unbemerkt. Am Ende dieser Zeit in der Wildnis waren wir dann zu kleinen echten „Guides“ herangewachsen. Alle waren nun in der Lage, die umgebene Natur zu erklären und viele hatten das Selbstbewusstsein erlangt, dies auch zu tun.
Ich war super gespannt, wie es sein würde, wenn wir unsere Füße wieder auf Kulenis Boden setzen und ich vermutete, wir würden die Umgebung nun mit anderen Augen sehen. Wir würden ja nun viel mehr verstehen und eine andere Beziehung zu dem Ort und der Natur darin aufbauen.
Das klingt jetzt alles vielleicht ein wenig übertrieben, stark hineininterpretiert und etwas zu sehr gewollt, zu sehr produziert. Doch in den letzten zwölf Tagen war wirklich viel passiert und es war wahrlich nicht übertrieben. Erlebnisse und Umgebungen prägen und verändern Menschen – Auch in kurzer Zeit.
Wir waren fast täglich auf riesige Herden von Elefanten gestoßen, wurden zwei Mal von Elefanten „gejagt“, haben zwei frische Kadaver von Njala Antilopen und einen Toten Babbon-Affen gefunden. Nachts hatten uns Hyänen, Löwen und Leoparden „Gutenachtlieder“ gesungen, einmal hatte sich eine Hyäne und ein Cheeta-Weibchen blicken lassen und insgesamt konnten wir fünf Löwen entdecken. Große Büffelherden hatten uns mit ihren aggressiven Blicken durchbohrt und kleine, wesentlich friedlichere Zebra-Herden hatten uns neugierig bei den Kaffeepausen beobachtet.
Regelmäßig waren wir auf Breitmaul-Nashörner gestoßen, manchmal sogar mit Kälbchen und einmal sind wir unverhofft quasi „in“ ein Spitzmaulnashorn mit Horn gefahren, dass und zum Dank für die „Provokation“ direkt aufspießen wollte. Die „kleineren“ Spitzmaulnashörner sind nämlich viel aggressiver als die großen, fast „freundlichen“ Breitmaulnashörner, – dafür aber auch viel viel seltener.
Lebewohl, raue Wildnis
Ich saß mittlerweile auf einer angenehm kalten Betonstufe und trank einen starken Instantkaffee. Es war alles gepackt, verstaut und aufgeräumt und wir waren bereit, abgeholt zu werden. Es war noch keine 09:00 Uhr und bereits 28 Grad warm. Heute sollte knapp die 40 Grad gerissen werden… puh!
Ich nahm einen weiteren Schluck Kaffee, beobachtete die quirligen, gelben kleinen Vögel im Baum vor mir und war ein wenig betrübt. Diese Wildnis hatte mir gutgetan. Ich werde hier her nicht wieder hierherkommen und ich werde sie definitiv vermissen. Das weiß ich jetzt schon.
Ich war aber auch erfreut. Ich mag es, wenn Sachen enden und neue Sachen beginnen. Das ist immer eine besondere, energetische Stimmung. Gut, wir werden die nächsten zwei Wochen damit verbringen, wie bekloppt in Kuleni zu lernen. Theorie. Mal wieder. Dies ist erstmal nichts Neues. Aber danach haben wir diesen Abschnitt abgeschlossen und es erwartet mich spannende, neue Abenteuer!
