no. 18 – in 83 tagen zum spurenleser

Dicke, kalte Tropfen Regenwasser fielen von meiner Kapuze in den nassen, dunkel-orangen Sand und hinterließen in den groben Körnen einen runden, symmetrischen Kreis. Ich kippte meinen Kopf zur Seite und kniff meine Augen zusammen. Vor mir befanden sich vier frische Hufabdrücke einer Antilope, soviel war schonmal klar. Einfach. Doch welche? Ich hielt meinen linken Zeigefinger über einen der Abdrücke und schätze “Mhm, knapp 5 Zentimeter, Ganz schön groß. Zu groß…”

Ich befand mich mitten im finalen Assessment zum “Tracker”, Spurenleser und die ganze Woche stand bereits unter dem Thema “Tracks & Sign”. Bereits seit Montag hatten wir mit Graham und teilweise mit Christiaan das Kuleni-Game Reserve abgeschritten und uns mit jeder noch so kleinen Spur intensiv auseinandergesetzt. Wir hatten Tausendfüßler, Ameisen und Mistkäferspuren interpretiert, hatten Tipps und Tricks für die Auseinanderhaltung der verschiedenen Antilopenspuren erhalten und gelernt, wie wir herausfinden können, welcher Huf der Giraffe vorne und welcher hinten, welche Tatze des Mongoose links oder rechts ist. Graham hatte uns gezeigt, wie sich das Spurenbild allein anhand der Laufgeschwindigkeit verändern kann und wir hatten erfahren, wie ein und derselbe Track bereits nach wenigen Metern seine Form verändert –  einfach, weil der Untergrund wechselt.

Am Mittwochabend erreichte dann ein Spurenleser-Experte der “Tracker Akademie” das Camp um unser Wissen nochmal auf ein ganz anderes Level anzuheben. Jerry, unser Assessor für die Prüfung, war ein ausgesprochen höflicher und gepflegter Mann in den Dreißigern. Als wollte er bewusst einen Kontrast zu der Rohheit des Busches setzen, führte er uns ab Donnerstagmorgen mit beiger Bügelfaltenhose und hellen Wildleder-Halbschuhen bekleidet durch den Busch von Kuleni.

“Menschen wie Jerry haben das “tracken” in ihren Genen“, flüsterte mir Graham, der vom Instruktor zum Teilnehmer mutierte war, ehrfürchtig zu und ergänzte: Selbst wenn wir ab heute jeden Tag nur mit tracken verbringen würden, kämen wir nicht annähernd an sein Level ran. Menschen wie Jerry haben das Tracken bereits in der Kinderschuhen, von den besten Lehrern und in der Natur, Tag für Tag, gelernt. Menschen wie Jerry sie sehen diese Welt einfach mit anderen Augen.”

“Ich wünschte, ich könnte das so” entgegnete ich neidisch.

„Ja, ich auch” seufzte Graham zurück, während wir langsam Seite an Seite der Gruppe vor uns folgen.

Die letzte Woche war sehr sehr lehrreich, aber auch sehr anstrengend und irgendwie sehr lang gewesen. Neben vielen Kilometern zu Fuß hatten wir auch besonders viel Zeit einfach mit warten verbracht. Während die Instruktoren passende Spuren suchten, fanden und eingekreisten, welche wir dann – jeweils nacheinander – interpretieren durften, mussten die Anderen eben warten. Eine Interpretation einer Spur, mit all ihren Details, braucht aber Zeit. Natürlich kann es schön sein, einfach in der Natur zu stehen und “nichts” zu machen – doch wenn man eine baldige Abschlussprüfung im Kopf hat, dann fällt zumindest mir das entspannte “nichts-tun” schon schwerer und meine Ungeduld wuchs im Laufe der Woche.

Das Interpretieren an sich machte mir dagegen sehr viel Spaß und der Busch, die sandigen Abdrücke auf den Wegen oder die Löcher im Boden wurden auf einmal so viel mehr als nur verdrängter Sand. Nach etwas Übung konnte ich bald, anhand kleinster Hinweise, ganze Geschichten erkennen! Meine Wahrnehmung verändert sich – Langsam und mit noch sehr viel Potenzial nach oben, aber sie veränderte sich.

Ins Wasser gefallen

Was sich aber leider auch veränderte, war das Wetter. Hatten wir am Dienstag noch feuchte 29 Grad und unter der Hitze gestöhnt, erwartete uns am Samstag, dem Tag des Assessments, kübelweise Starkregen und windige 12 Grad. Aller Wetter-App-Warnungen zum Trotz, ließ uns Jerry den ganzen Tag bereithalten. So saßen wir ab 06:00 Uhr in den klammen Lehrsälen, derweil Jerry auf einen spontanen, unangekündigten Wetterumschwung hoffte. Ich hatte natürlich auch schon oft erlebt, dass die Wettervorhersagen nicht immer ganz akkurat waren und manchmal einige Überraschungen eintraten, doch bei ganztägig 90 % Regenwahrscheinlichkeit bei 2-5 Litern pro QM, musste man meiner Meinung nach schon einsehen, dass man “verloren” hatte.

Doch Jerry sah das anders, was dazu führte, dass ich am Samstagnachmittag im nassen Sand kniete und nicht nur mein Hirn über Antilopen-Spuren weich werden ließ, während das Regenwasser über meine Regenjacke in meine Hose hineinlief. Hör auf deine Intuition hörte ich Graham in meinem Kopf sagen. “Alles klar”, flüsterte ich, stand auf, kramte mein durchnässtes, feucht gewordenes Heft unter meiner Regenjacke hervor und kritzelte unter Nr. 3: “Njala” auf die welligen, weichen Seiten.

Falsch. Impala!”. Entgegnete mir Jerry und deutete mir mit einer dynamischen Handbewegung an, dass ich an ihm vorbei gehen sollte. “Verdammt. Impala. Aber die waren doch so riesig?!” murmelte ich leise und frustriert, aber offensichtlich laut genug für Jerry.

Ja, das passiert, weil der Sand mittlerweile komplett durchnässt ist. Dann sehen die Spuren oft größer aus. Also aufpassen” entgegnet mir dieser und wendet sich dann dem nächsten Teilnehmer zu.

Nach weiteren acht Spuren brachen wir ab. Der Regen war wieder stärker geworden und ein Großteil der Teilnehmenden war nun bis auf die Unterwäsche durchnässt. Die Quantität und Qualität der Spuren ließen auch immer mehr nach und auch meine Hose hatte kaum noch einen trockenen Fleck. Immerhin, die Regenjacke hielt wunderbar dicht. Machen wir morgen weiter, schönen Feierabend rief uns Jerry noch zu, bevor sich die tropfenden Kapuzengestalten in die Unterkünfte entfernten.

Ich dagegen schlenderte zum Gemeinschaftsbereich, schnappte mir meine schwarze Kaffeetasse und ließ dampfendes, kochendes Wasser aus dem Boiler in meine Tasse sprudeln. Die braunen, fast cremigen Kreise des Instantkaffees waren noch nicht ganz verschwunden, als ich mich wieder in den klammen Lehrsaal vor mein Arbeitsbuch setzte und die Kappe meines schwarzen Gelstiftes mit den Zähnen abzog. Ich hatte noch viel zu tun, denn bald stand die Abschlussprüfung an. Ich nahm einen Schluck des heißen Kaffees und beobachtete die dicken, silber-grauen Bindfäden des Dauerregens auf dem Hof.

Das große Ganze

Ich war mittlerweile 83 Tage in der Ausbildung bei Bhejane Nature Training, doch spontan fühlt es sich für mich nicht so an, als dass ich bereits besonders kundig geworden war. Das war insofern etwas beängstigend, da ich bereits in vierzehn Tagen meine Abschlussprüfung des Nature Guides anstehen hatte. Aber je länger ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir doch gewahr, dass einiges in den letzten 83 Tagen in und mit mir passiert war – und dass ich doch einiges gelernt hatte.

Wenn ich mir nämlich vorstellte, dass ich nun auf eine Version meiner Selbst vor drei Monaten treffen würde, gerade frisch im Camp angekommen – ich wäre sicher sehr beeindruckt von meinem Wissensstand gewesen. ICH könnte nun die Einweisungstour machen, die mir damals Tobi gegeben hatte und mein Englisch, auch wenn es mir noch nicht gefiel, war um einiges besser geworden – Die Kommunikation an sich verbrauchte nicht mehr so viele meiner Ressourcen.

Besonders merkte ich eine Entwicklung aber daran, dass ich nun immer wieder auf Bekanntes stieß. Es war nicht mehr alles neu und so manches begann sich zu wiederholen. Langsam, ganz langsam begannen die einzelnen Elemente und Module aufeinander zu zu driften und etwas Neues, ein Ganzes zu bilden. Langsam begann alles ineinander zu greifen und Sinn zu ergeben. Ich konnte zum damaligen Zeitpunkt nur erahnen, wie der Wissensstand und das fachliche Selbstbewusstsein sein müsste, wenn ich hier drei Jahre, wie die Langzeitstudierenden, verbringen würde. Doch diesen Luxus hatte ich nicht. Mir mussten 123 Tage reichen.

Geprüfter Tracker

Als wir am Sonntagmorgen gegen 06:00 Uhr einen weiteren Versuch für das Tracking Assessment starteten, erkannten wir, dass uns der verhasste Regen der letzten Stunden auch ein Geschenk gemacht hatte: Eine niegel Nagel neue, frische „Leinwand“ aus ebenem Sand. Alle Spuren der Vortage, besonders unsere eigenen, waren komplett verschwunden und hatten vermeintlich perfekte Bedingungen für frische, neue Abdrücke erschaffen. Vermeintlich. Denn der Boden war immer noch so vom Wasser gesättigt, dass einige Spuren weiterhin in ungewohnt großer Form und Massivität auftraten.

Wir gaben unser Bestes, verbogen unsere Nacken, versandeten den Kniebereich unserer Hosen, trainierten unsere Augenlidmuskeln und interpretierten einen Track nach dem anderen, bis unser Hirn abermals zu erweichen drohte. Als uns dann aber am Sonntagmittag die Sonne unsere Jacken von den Schultern streifte, hatten wir es tatsächlich alle geschafft!

Nach fünfzig Tracks und spezifischen Fragen zu den Tracks gab uns Jerry, sichtlich stolz, den “Daumen”. Alle hatten bewiesen, dass sie in der Lage waren, Spuren und die Umgebung aufmerksam zu beurteilen und zu interpretieren und durften sich nun verdient “Tracker” nennen.

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