“Willst du zwei Giraffenbullen kaufen? Ich habe 25 Giraffen, das reicht mir” schallte es von einer WhatsApp-Sprachnachricht zu mir rüber.
“Warte mal, die Stimme kannte ich doch, das war doch Kevin?!”
Es war Kevin und er wollte tatsächlich zwei seiner Giraffen loswerden. Aber er wollte sie nicht an mich verkaufen, sondern an Vanessa bzw. dem privaten Reservat Bonamanzi.

Die letzten 48 Stunden hatte ich mich diesmal den Field Rangern und Managern vom Private Game Reserve Bonamanzi angeschlossen, um, nach der Conservation Seite, auch die touristisch orientierte Reservatsarbeit besser kennen zu lernen.
Den Anfang hatte ich am Donnerstagabend mit Charles gemacht und dabei wieder einmal festgestellt, dass die Welt so unglaublich klein sein kann: Charles Myeni war der neue Anti-Poaching-Manager im Bonamanzi Reservat und hatte damit neun Anti-Wilderer unter seiner Aufsicht, die sich dem Schutz der wilden Tiere, insbesondere aber der Nashörner verschrieben hatten. Doch Charles war erst seit vierzehn Tagen ihr Chef. Davor war er APU-Sergeant im Amakhosi Reservat gewesen. Genau! Amakhosi!
Amakhosi war das Reservat, in dem ich einige Tage dem Anti-Wilderer Pierre Barau und seiner K9 Einheit über die Schulter geschaut hatte. Doch Charles war nicht nur zur selben Zeit dort tätig gewesen, er war sogar an einem der Tage im Dienst gewesen, an denen ich dort gewesen war und hatte die Fährte für den herausragenden Schäferhund Mpisi gelegt!

Ich fühlte mich etwas schlecht, dass ich ihn nicht sofort erkannt hatte, als ich nun am Abend zu ihm in den Geländewagen gestiegen war und auf dem Beifahrersitz neben ihm Platz genommen hatte – doch zu meiner Entschuldigung: Es war auch bereits dunkel geworden und Charles hatte reflexartig alle Lichter im Auto ausgeschaltet, um nicht unnötig Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Normalerweise. Doch heute war es anders.
Es war Vollmond und anders als die Raubtiere, die bei Vollmond gar nicht erst auf die Jagd gehen, nutzen viele Wilderer das natürliche Licht gerne, um zu wildern.
“Wir fahren heute Streife, immer schön am Zaun lang mit viel Licht. Die Kerle sollen sehen, dass wir da sind und gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen” erläuterte mir Charles das heutige Vorhaben und ich war bereit.
“Was erwartest du von mir, wenn wir auf Wilderer stoßen?” fragte ich Charles, nachdem ich meinen Rucksack zwischen meinen Beinen verstaut hatte. Ich hatte damit gerechnet die Nacht zu Fuß unterwegs zu sein und entsprechend Wasser, Essen und wärmere Kleidung eingepackt.
“Na, dass du das machst, was ich dann auch mache – Die Wilderer festnehmen!“
OK, dann war das auch geklärt.
noble motivation
Die Stoßdämpfer quietschten bei jeder Unebenheit – also eigentlich dauernd – und überall glühten uns rote und gelbe Augen aus dem Schwarz der Umgebung an. Es war erstaunlich dunkel, für eine Vollmondnacht, was an der sehr tiefen Wolkendecke lag, die sich über das Gebiet gezogen hatte. Immer wieder stießen wir auf einzelne APU-Ranger, die mit einem grünen Overall und Gummistiefeln bekleidet sowie einem Gewehr bewaffnet, alleine in der Dunkelheit Streife gingen oder Posten auf einem der vielen “Wachtürme” bezogen hatten.
“Streife fahren und Präsenz zeigen, dass ist meine Aufgabe heute Nacht” erklärt mir Charles. “Die Anderen bleiben weiter im Verborgenen und versuchen mögliche Übertritte zu erkennen und die Wilderer dann ausfindig zu machen.”
“Im Hluhluwe-iMfolozi-Park ist zuletzt das Nashorn-Wildern wieder angestiegen, trotz des Entfernen der Nashorn-Hörner. Wie ist es hier?“ Fragte ich Charles, als wir gerade an einem großen, hornlosen Nashorn vorbei ruckelt waren.
“Hier haben wir zurzeit nur Probleme mit den so genannten „Meat-Poachern“. Das letzte Nashorn haben wir vor über vier Jahren verloren. Aber dafür wird hier auch viel gemacht und die Jungs sind echt auf Zack” antwortete mir Charles und gag sein Bestes, nicht im tiefen Sandweg stecken zu bleiben. Denn dieser Pickup hatte keinen Allrad – der originale APU-Pickup war in der Werkstatt. Ich hatte mich schon gewundert, warum eine APU-Einheit so eine große Ladefläche brauchte.
“Warum bist du Anti-Wilderer geworden?”
“Ich liebe die Natur, bin sehr gerne draußen. Als ich festgestellt habe, dass die wilden Tiere, insbesondere die Nashörner verschwinden, habe ich mich entschieden, etwas dagegen zu unternehmen. Ich habe Kinder und ich will nicht, dass diese die Nashörner nur noch aus Büchern kennen”
Charles noble Antwort machte mich ein wenig nachdenklich. Ja, es war tatsächlich so schlimm, dass, wenn es so weiter gehen sollte, die kommende Generation keine Nashörner mehr erleben wird, sollte der Trend nicht aufgehalten werden!
Wir fuhren wieder durch eine, von tiefen Matschrillen durchzogene große Pütze. Die Reifen drehten durch, der Wagen brach stark aus und ich sah mich schon im Dunkeln knietief im Matsch stehend und einen Pickup aus der braunen Brühe schiebend, da schaffte es Charles abermals den Wagen zu befreien und grinste mich breit an. “Wir sind noch nie stecken geblieben!”
Charles war ein tief schwarzer, kräftiger, etwa 1.77 Meter großer Zulu Mann. Er war, anders als seine Ranger, heute in Zivil, also ohne Uniform, komplett in schwarz bekleidet, inklusive schwarzer Sneaker. Das hatte ich jetzt nicht von einem APU-Manager erwartet. Was ich aber erwartet hatte, war sein wacher Blick. Charles hatte Lust und war motiviert, das sah ich und er bestätigte: “Ich kann nicht ruhig bleiben. Ich muss ständig was tun, mich weiterentwickeln, lernen, zum Nächsten gehen”.
Als wir einen Standposten für eine gute halbe Stunde an einer markanten Zaunecke, direkt an der großen Straße bezogen, nutzt er die Zeit, um sich mit dem Gebiet weiter vertraut zu machen.
“Die ersten Tage hier im Reservat waren hart, aber mittlerweile geht es und ich verfahre mich nicht mehr!” erklärte mir Charles und widmete sich wieder der digitalen Landkarte. “Es ist wichtig, dass ich mich hier gut auskenne – und das möglichst schnell. Denn bald ist Dezember und dann wird es hektisch. Dezember ist DER Wilderer Monat!”
“Ja?! Warum das?” fragte ich verdutzt, während ich in die dunkle Nacht hinausschaute und den Wind meine Hand umspielen ließ.
“Da kommen alle wieder zu ihren Familien zurück und brauchen Fleisch fürs Fest”
busch, baby!
Bereits nach drei Stunden und 32 Kilometern setzte mich Charles bereits wieder bei meiner Unterkunft auf dem Reservat ab. Die angekündigte Nachtschicht war dann doch nur eine Spätschicht geworden, was auch daran lag, dass Charles am nächsten Morgen bereits wieder einige wichtige Aufgaben zu erledigen hatte. Neben dem hornlosen Nashorn und unzähligen Impalas und Injalas, waren wir in der Dunkelheit noch auf eine nachtaktive Giraffe, Zebras, grimmige Daggerboys und eine kleine Herde Elefanten mit einem ganz frischen, neugeborenen Minielefanten gestoßen.
Doch mein Highlight war tatsächlich um einiges kleiner und kletterte fröhlich über einen Ast, der quer über dem Weg hing: Ein Buschbaby, Thick Tailed Galago. Ich kannte diese Tiere nur anhand ihrer unzähligen Spuren im Kuleni Reservat und den unüberhörbaren, nächtlichen Rufen, doch es hatte nun fünf Monate gebraucht, bis ich endlich ines der kleinen Äffchen auch mal zu Gesicht bekam. Dafür war es umso süßer!


Ich kroch in meinen Schlafsack unter das niedrige Reisefliegennetz und horchte in die Nacht hinein. Mehrere Fired Nacked Night Jars riefen in weiter Entfernung und direkt vor meinem Fenster graste eine Herde Impalas gemütlich vor sich hin. Ansonsten war es vollkommen ruhig. “Wie es wohl draußen bei den Rangern sein musste?” dachte ich, etwas neidisch. Diese mussten noch gute sieben Stunden das Gebiet ablaufen und hatten dabei sicher einige einzigartige Tierbegegnungen. Gerne wäre ich diese Nacht auch draußen gewesen – aber so konnte ich wenigstens etwas Kraft für den nächsten Morgen sammeln – beschwichtigen ich mich selber und löschte das Licht.
der paradies
“Ich heiße Paradies“, antwortete mir der glatzköpfige APU-Ranger, während er sein Funkgerät an eine Steckdose, mitten auf dem Platz an einem Pfahl einsteckte. Paradies hatte gerade seine zwölf Stunden Nachtschicht beendet und seinen grünen Overall gegen ein blaues, löchriges Kunststoff-T-Shirt eingetauscht. Mit großen, müden Augen war er vor fünfzehn Minuten an meinem Fenster vorbei gestampft und war offensichtlich überrascht, mich dort in meinem Schlafsack liegen zu sehen, während ich die früh morgendliche Aussicht genoss.
Die Zullus haben manchmal, für einen Europäer, recht merkwürdige englische Namen, sobald sie die eigene Sprache verlassen. So kannte ich neben “Paradies” beispielsweise noch “Welcome”, einen Pförtner im Kuleni Reservat – wie passend!
Paradies und ich unterhielten noch ein wenig, dann verabschiedete er sich in seine Unterkunft und seine „Nachtruhe“ und ich setzte mich an einen großen Holztisch mit fabelhafter, weiter Aussicht, um mein Frühstück, Toast mit Erdnussbutter, vorzubereiten.


Gegen 07:30 Uhr rollte der weiße Pick Up mit den grobstolligen Reifen von Vanessa auf den grünen Rasenplatz, um mich abzuholen und mir die Welt einer Reservat Managerin näherzubringen.
Vanessa De Villiers war eine von zwei General Managern im ca. 4000 Hektar großen Bonamanzi Reservat und im Zuge dessen für den möglichst reibungslosen Betrieb und knapp 32 Mitarbeiter zuständig. Dies war meine letzte Station bei meiner Erforschung des Rangers und mich interessierte vor allem der Spagat zwischen Naturschutz und Tourismus. Anders als Kevin und Wild Tomorrow Fund hatte Vanessa nämlich nicht nur ausschließlich die Betreuung und Pflege der Vegetation und der Tiere zur Aufgabe, sondern musste auch den Anspruch der Touristen und aller dafür nötigen Einrichtungen gerecht zu werden.
feuer löschen im garten eden
“Hast Du eigentlich noch einen Blick für die wunderschöne Natur um dich herum?” fragte ich Vanessa, nachdem wir den Mitarbeiter Emos bei seiner großen gelben Maschine abgesetzt hatten und bereits wieder im zügigen über die bunten Sandwege hinweg jagten. Gerade hatten wir noch einen steilen Sandweg mit Emos besichtigt, um möglichen Stellen zu identifizieren, an denen er mit seinem Bagger neue Mitres schaffen konnte.
Mitres sind kleine künstliche Gräben, die links und rechts von den Sandwegen in das Gelände gegraben werden, um die Erosion der Straße zu verhindern - und das hatte dieser Weg auch dringend nötig.
„Der Regen schwemmt den ganzen Sand nach unten und da ist dann so viel Sand, dass sich dort ständig die Autos festfahren. Vor allem die der Touristen. Das ist unschön“ erklärte mir Vanessa die Situation. Vanessa – und so auch ich, war schon den ganzen Vormittag damit beschäftigt, von einem Ort im Reservat zum nächsten zu rasen und dort Probleme zu lösen.
Liegen gebliebene Traktoren, nicht funktionierende Mäh-Maschinen, Einweisungen für eine Bush-Clearing Truppe, die die Sicht von einer Unterkunft zu einem Wasserloch herstellen sollte oder das abliefern von Macheten für eine weitere Truppe, die gegen den Kampf gegen eine Alien-Invasive Pflanze aufgenommen hatte – Die Aufgaben waren bunt gemischt und viele. Zu viele für die knapp 30 Mitarbeiter.
„Es gibt zu viele Aufgaben für zu wenig Leute“ bestätigte mir Vanessa meine Beobachtung und fügte hinzu „gerne hätte ich für jeden Bereich einen Spezialisten. Da wir personell aber begrenzt sind, macht hier jeder so gut wie alles“.
Es ging nun wieder quer durch das Reservastsgelände, von A nach B und über Stock und Stein. Die Natur war wie immer beeindruckend, vielfältig und voller Leben. Njalas, Impalas, Nashörner, Giraffen und unzählige bunte Vögel – Nur, die Schönheit ging komplett unter. Nicht das Beobachten oder wenigstens das Zählen der Tiere war ja der Grund für die Fahrten, sondern es ging darum, möglichst schnell möglichst viel Strecke zu überwinden, um die aufkommenden „Feuer“ schnell zu löschen. Ständig machte sich Vanessas Handy bemerkbar, fordert ihre Aufmerksamkeit und wenn es nicht das Handy war, dann meldete sich das Funkgerät.
Vanessa handelte alle Situationen und Probleme souverän ab, doch ich merkte ihr an, dass sie unheimlich viel im Kopf hatte und ständig unter Dampf war. Neben den spontanen Brennpunkten, um die sie sich kümmern musste, war ihr vor allem die Mitarbeiterentwicklung wichtig und die Organisation der Aus- und Weiterbildung nahm laut Vanessa viele Ressourcen in Anspruch – „…und die Maschinen. Die machen viel Ärger“ stöhnt Vanessa etwas, als sie ein weiterer Funkspruch erreichte, dass ein Traktor nun Starthilfe benötigte.
Also ging es wieder quer durch den Park und anschließend wieder in die andere Richtung, um die Arbeiten an einigen abgesackten Holzhäusern kontrollieren. Der Park erstreckt sich bis an die False Bay und beeindruckt mit seinen wilden Wetlands, der Savanne und dem einzigartigen Sand Forest. Auf den ersten Blick war es hier wild. Wunderschön und wild. Doch das täuschte.
In meinem Kopf kristallisierte sich immer mehr das Bild eines riesigen, überdimensionierten, sandigen Gartens heraus. In einem Garten gibt es ja auch immer was zu tun und nicht jeden Tag ist man mit Pflanzen oder Ernten beschäftigt. Oft sind es viele „Kleinigkeiten“, die dann Aufmerksamkeit fordern und die Zeit regelrecht auffressen.
„Ja doch, ich sehe die Schönheit schon noch. Nicht immer, aber ich versuche mir, sobald es geht, bewusst Zeit zu nehmen und wenigstens ab und zu einfach zu Beobachten und Wahrzunehmen, so wie jetzt“ beantwortete Vanessa meine ursprüngliche Frage, während wir am Ufer eines kleinen Sees standen und nach einem hochschwangeren Nilpferd Ausschau hielten.
„Es müsste jetzt jeden Tag soweit sein und neuen Nilpferd Nachwuchs geben“ sagte Vanessa und scannte mit zusammengekniffenen Augen konzentriert die Wasseroberfläche ab. Da wir das Nilpferd aber nicht ausmachen konnten und weitere Aufgaben warteten, brachen wir ab und wandten uns wieder der gefühlten Hauptaufgabe zu: Herumfahren.
„Das hier war alles mit den invasiven Pflanzen voll gewuchert. Es war total dicht und kein Tier war mehr hier, denn keine Antilope, Giraffe oder Elefant konnte etwas mit den Pflanzen anfangen. In Mühevoller Arbeit und mit ganz viel Ausdauer haben wir sie dann entfernt. Immer und immer wieder. Und jetzt, schau:“ Vanessa deutete auf eine Ansammlung von gut zwanzig Njala und Impalas, die gemütlich zwischen den Büschen das grüne Gras vertilgten. „Sie sind wieder da! Das zeigt mir, dass wir erfolgreich waren. DARUM mach ich das hier alles – um meine kleine Farm gesund zu halten.“
„Farm“. Ich nannte es hier Garten, Vanessa nannte es Farm. Beiden Bezeichnungen haben gemein: Es ist keine Wildnis, sondern ein von Menschen betreute Natur.

Weitere Infos: www.bonamanzi.co.za