no. 6 – stompi | wildnis woche I | tag eins

Ich kickte gegen ein Holzstück, um jeden möglichen Skorpion oder jede Schlange zu vertreiben und griff dann zu, um das trockene, sandige Stück Holz aufzunehmen.

„AUA!

Ein unerwarteter Schmerz schoss in meinen Mittelfinger! Ich riss meine Hand zurück und schaute auf die Rückseite des Holzstückes. Kein Skorpion, aber ich hatte voll in eine große Dorne gegriffen, die sich auf der Rückseite Knob Thorn-Zweiges versteckt hatte. Knob THORN! Ich schaute mir den kleinen Piekser an. Es steckte noch eine abgebrochene Dorne im Fleisch und lächelte mich fies an.„Fuck, der ist ja richtig tief drinnen! Das fängt ja gut an!“ grummelte ich und zog das Holzstück trotzdem aus dem Unterholz zum Weg. Jetzt erst recht!”

„Die meisten Unfälle passieren beim Feuerholz sammeln. Leute greifen in Dornen, lassen sich totes Holz auf den Kopf fallen oder von Skorpionen und Schlangen attackieren. Also passt auf!“ hatte Dylan vor einigen Minuten noch gesagt, als er uns, mit seinem Gewehr in der linken Hand, den Auftrag erteilte, Feuerholz für das Lagerfeuer zu sammeln – während er über uns wachte.

Ich war soeben in der Wildnis, im Busch eines Big-Five Reservates im Kwa-Zulu-Natal Gebiet angekommen und nun stand die erste von zwei Wochen “Trails” bevor. Ich muss schon zugeben, ich war aufgeregt! Das würde eine anstrengende, heiße und sehr kalte Woche, mit einigen Grenzerfahrungen und wenig Schlaf werden. Es wurde mehrfach angedeutet, dass es „roh“ und hart werden sollte. „Roh“ aber auch sehr schön und voller großartiger Erfahrungen, die an Einmaligkeit kaum zu überbieten sein werden.

Es ging die nächste Woche darum, Erfahrung, also Stunden zu Fuß und Tierbegegnungen für den Trails Guide zu generieren. Nötig waren dafür mindestens fünfzig Stunden zu Fuß und zehn Tierbegegnungen, in einem gewissen Maximalabstand – ich war sehr gespannt! Gerade die direkten, unmittelbaren Begegnungen mit der Wildnis war ein elementarer Teil meiner Erforschung der Wildnis! Die kommenden Tage waren also sehr wichtig, doch ich freute mich vor allem darauf, wirklich in der Natur zu sein und ich konnte es kaum erwarten, endlich dem permanenten Straßenlärm des Camps in Kuleni zu entfliehen. Ich sehnte mich regelrecht danach, nur noch die Geräusche der Vögel, Insekten und anderen Tiere um mich herum zu haben, freute mich auf die Gerüche und bestimmt atemberaubende Sonnenauf- und Untergänge – denn DIE waren ja schon im Bhejane Camp großartig. Besonders aber  freute ich mich auf unmittelbare, vis-a-Vis Tierbegegnungen, überragende Eindrücke und Erlebnisse und ich freute mich auf ganz viel direktes, „lebendiges“ Wissen von Dylan. 

Ich war aber auch sehr gespannt, wie ich mit den angekündigten „rohen“, vielleicht auch grenzwertigen Situationen umgehen würde.

„Es sollte reichen, wenn ihr nur eine einzige kurze Hose mitnehmt“ hatte Dylan noch am Freitagmittag ausgeführt, als die bevorstehende Woche in der Wildnis spontan und für mich sehr unerwartet verkündet wurde. „Des Weiteren braucht ihr Kapazität für mindestens drei Liter Wasser pro Tag, denn es kann sehr heiß werden. Ach ja, und in der Nacht vom Donnerstag auf Freitag werden wir komplett unter freiem Himmel, auf nacktem Boden und am offenen Feuer schlafen. Vermutlich werden die meisten von euch dann kein Auge zu bekommen, deswegen wurde dies auf den Donnerstag gelegt“ fügte Dylan hinzu und nahm lässig einen Schluck auf seinem Kaffeebecher.

Wie für Südafrikaner typisch, wurde um diese Informationen, die fast nebenbei aus dem Ärmel geschleudert wurden, kein großartiges Aufheben gemacht. Dabei ging es hier um nicht weniger, als mit maximal leichtem Gepäck für fünf Tage ein absolut rudimentäres Camp inmitten eines Five Game Reserve, also ein Reservat, welches den Status „Dangerous Game“, für „gefährliche Tiere“ trägt, zu beziehen. Dieses provisorische Camp bot dann laut Dylan weder Strom noch mobiles Netz, kein fließendes und schon gar kein warmes Wasser. Wir sollten darum eben möglichst leicht packen, da wir den Großteil unserer Ausrüstung für die nächste Woche mit uns herumschleppen werden würden und wir sehr viel laufen werden. Eigentlich ausschließlich. Die ganzen fünf Tage.

Ich wusste, dass solch eine Aktion im Rahmen der Trails Guide Ausbildung anstehen würde und ich hatte mich von Anfang an sehr auf diese Zeit gefreut. Nur, ich hatte nicht so bald damit gerechnet und schon gar nicht mit der kurzen Vorlaufzeit von 54 Stunden! Genau genommen hatten wir nämlich netto nur eineinhalb Tage, um möglichen Kram nachzukaufen, welchen wir brauchen könnten. Reinigungstabletten für Flusswasser zum Beispiel. Vieles von dem empfohlenen gab es im nächsten Ort Hluhluwe aber auch gar nicht. Wenn man es also bis jetzt nicht hatte, dann musste man eben darauf verzichten.

In mir hatte sich dann am Freitagmittag, nach dem Briefing, erstmal eine Mischung aus Vorfreude, Begeisterung und Missmut breit gemacht. Hauptsächlich, weil ich ziemlich heftig über meine Komfortzone geschubst wurde: Als notorischer Planer habe ich gerne frühzeitig Kenntnis und dann etwas Vorlauf, um mich auf das Ereignis intensiv vorzubereiten. Dies war hier jetzt nicht mehr möglich. Das Einzige, was ich machen konnte, war, jetzt nochmal in Windeseile meine Einkaufsliste zu überarbeiten (Müsliriegel statt Toast) und ansonsten kreative Lösungen für die Probleme zu finden.

Raue Wildnis

“Bereit? Es wird Roh! Aber schön!” rief mir dann noch am Montagmorgen Wian durch das Fenster des weißen Kleinbusses entgegen, den er gerade vor dem Gemeinschaftsgebäude abgestellt hatte – und verstärkte damit nochmal meine Anspannung. Ich war bereit! Bereit für den Busch und bereit für fünf Tage “Survival-Erlebnisse”! Vor meinem inneren Auge kämpften wir bereits, nur mit Messer bewaffnet, ums Überleben, voller Leid und Schwere. Was meine Fantasie aber etwas bröckeln ließ, war, dass die meisten meiner Kommilitonen nicht ganz so fit zu sein schienen. Wenn es für sie funktionierte, dann dürfte es nicht ganz so heftig werden. Wenn ich genau überlege, könnte ich mir vorstellen, dass gerade diese überwiegend „unfitte Masse“ der eigentliche Maßstab für die Worte „es wird roh und hart“ sein könnte. Dann dürfte es eher entspannt werden. ANDERERSEITS waren die Südafrikaner manchmal doch unerwartet taff. Ich könnte mich also auch stark irren – Und war sehr gespannt. Wie auch immer, die Wildnis konnte für mich kommen. Doch ich hatte auch ein wenig ein schlechtes Gewissen, denn ich hatte doch mehr mitgebracht, als unbedingt nötig war. Meine Wollstrickjacke zum Beispiel. Um nicht unnötig aufzufallen, hatte ich diese unter meine grüne Bhejane-Fleece in den Bus geschmuggelt und schaute nun den Anderen zu, wie sie ihren Kram in den Bus hievten. HIEVTEN! Denn ich war gar nicht der Einzige, der mehr Kram mitbrachte. Kyle zum Beispiel hatte einen riesigen Reisekoffer und sogar ein ganzes Feldbett dabei. Andere kamen mit allerlei Tüten und Taschen und manche hatten sogar ihre großen Schlafkissen unter die Arme geklemmt.

Nachdem sich die Meisten noch mit literweise bunten Energiedrinks versorgt hatten, rollten wir endlich gegen 07:00 Uhr vom Gelände und auf die raue Straße. Ich hatte mein Handy auf Flugmodus geschaltet, um meinen Akku möglichst zu schonen, doch war offensichtlich der Einzige, der sich solche Gedanken machte. Denn wir waren keinen Kilometer gefahren, da waren alle bereits wieder in ihren Handy versunken, hörten mit dicken Kopfjhörern Musik, schauten Filme oder spielten sogar Computerspiele. Ich war verdutzt. Entweder, die Handys der Anderen hatten einen riesigen Akku und alle hatten noch eine riesige Powerbank dabei – oder es war vielleicht doch ganz anders als angekündigt und es gab vielleicht doch Strom?

Ich löste meine Gedanken von den Handys und dem Verhalten der Anderen und ließ meinen Blick über die vorbeiziehende Umgebung schweifen. Mir tat es sehr gut, unterwegs zu sein! Aufmerksam beobachtete ich die für mich neue Welt und freute mich darüber, Neues zu entdecken, als mir etwas merkwürdig vorkam: Wir fuhren. Und fuhren. Und fuhren. Sollte das Camp nicht eigentlich in der Wildnis des iMfolozi-Park sein? In dem Park, in dem mich Tom noch am Sonntag eingeladen hatte? Der war doch direkt um die Ecke und in knapp 35 Minuten zu erreichen gewesen! Doch wir waren bereits sechzig Minuten unterwegs und fuhren immer weiter! “Da war wohl mal wieder was an mir vorbei gegangen – Naja, so sehe ich wenigstens mehr von der Umgebung hier” dachte ich und schaute wieder aus dem Fenster.

Die Orte nach Hluhluwe waren eher schlicht. Es gab hier zwar Hütten aus Beton, diese waren aber oft in miserablem Zustand, teilweise echt abgerockt und manchmal nicht mal richtig fertig gebaut. Oft hatten sie kaum noch Farbe an den Wänden, wenn sie denn überhaupt mal Farbe abbekommen hatten. Säulen schienen hier dagegen voll im Trend zu sein. Nach dem Motto: “Egal wie der Zustand deiner Hütte ist, Hauptsache du hast zwei Säulen am Eingang”, hatte hier jedes zweite Haus dicke fette Säulen an der Front installiert. Irgendwie merkwürdig.

Es war noch früh am Morgen, aber schon recht viel los. Entlang der Straße tummelten sich Gruppen aus Schulkindern, brav getrennt nach Geschlecht, in ordentlicher, Blau-weißer oder Lila-weißer Schuluniform. Neben den Kindern waren auch viele Erwachsene in allerlei Erscheinungen, vom gepflegten Anzug bis zur Badehose, unterwegs, um ein paar Rand für den Lebensunterhalt zu generieren. Wir fuhren an diversen Verkaufsständen vorbei, bei denen alles Mögliche, von Obst bis Teppichen aus Schilf, angeboten wurde. Die Ware befanden sich dabei oft einfach auf dem staubigen, grau-gelbem Boden und neben großen, runden Töpfen. Die Töpfe waren über einem Feuer angerichtet, welches von großen, sternförmig gelegten, meterlangen Holzscheiten genährt wurde. 

Zwischen den kleinen Orten folgte dann Land. Hier schien ein Zentrum der Holzwirtschaft zu sein. Zumindest waren überall Plantagen von Eukalyptus-Bäumen, aufgereiht wie Soldaten, zu sehen. Teilweise waren die Plantagen abgeerntet und es war nur noch ein riesiges, schwarzes leeres Feld mit “Stoppeln” zu sehen. Das Ganze erinnert mich mehr an ein überdimensioniertes Maisfeld, als an einen Wald. “Papier” klärte mich Chey, die Freundin von Otter auf. „Aus den Bäumen wird Papier hergestellt“. Macht Sinn, die Bäume waren zwar super gerade, aber für ordentliches Bauholz viel zu dünn.

Die Fahrt ging immer weiter und ich war sehr gespannt, wo wir letztendlich landen würden, als Wian das Auto gegen 08:45 Uhr auf einen Parkplatz einer großen Mall in Richards Bay abparkte: „Wir müssen noch ein paar Sachen für die Woche einkaufen. Pünktlich um 09:05 Uhr geht es aber weiter. Wer hier um 09:10 Uhr auftaucht, wird diesen Bus nicht mehr auf dem Parkplatz finden können!“. Mal wieder eine deutliche Ansage. Wian liebte diese Ansagen.

Ich kramte in meinem Rucksack herum und fischte meine Kreditkarte aus den Tiefen hervor. Eigentlich hatte ich überlegt, gar kein Geld mitzunehmen – was soll ich damit auch in der Wildenis? Doch nun war ich froh, dass ich meine Karte doch dabei hatte, denn so konnte ich mir einen guten Kaffee kaufen – bei Wimpy.

Mit einem großen, duftenden Cappuccino saß ich wieder hinten im Minibus und langsam wurde mir echt heiß. Schuld war meine geschmuggelte Woll-Strickjacke. “Das wird langsam albern” dachte ich, in Gedanken bei den Koffer von Kyle und kramte die Strickjacke unter dem Fleece hervor. Um 09:30 Uhr, statt den angekündigten 09:05 Uhr, ging es weiter. Die Rechnung wurde nämlich ohne die Öffnungszeiten der Läden gemacht, die überwiegend erst ab 09:00 Uhr öffneten.

Wir fuhren nun noch ein kurzes Stück auf einer asphaltierten Straße und stießen dann auf eine “Dirt Road”, eine grobe, sandige Straße mit großen Löchern und vielen, groben Steinen, was die Reisegeschwindigkeit drastisch reduzierte. “Es sind nur noch ein paar Kilometer, aber wir brauchen noch knapp eine Stunde” rief Wian mit, durch die Erschütterung wackeliger Stimme zu uns nach hinten. Auch wir wurden ordentlich durchgeschüttelt und der Blick auf den Handybildschirm wird zunehmend anstrengender, woraufhin ich mich wieder auf die Umgebung und das möglichst unfallfreie Trinken des Kaffees konzentrierte. Es ging nun vorbei an riesigen, hügeligen Zuckerrohrfeldern und kleinen, sehr rudimentären Siedlungen der Nachkommen der Zulus, die noch immer in diesen Hügeln lebten.

Innen, im Auto dröhnte dagegen laute Popmusik aus den Boxen und meine euphorischen, gut gelaunten Mitfahrenden spielten ein Spiel nach dem anderen. Bei einem Spiel ging es darum, einen Begriff zu nennen, der mit dem zuvor genannten Begriff in Beziehung stand. Also Milch und Kuh zum Beispiel. Es wurde dabei viel gelacht und es sah spaßig aus, also klinkte mich ein. „Etwas Socialising und vor allem Englisch üben kann nicht schaden”. Doch Chey, die vor mir an der Reihe war und die Begriffe für mich in den Raum warf, machte es mir wirklich schwer, indem sie sehr spezifische Fachbegriffe verwendete, die ich meistens gar nicht kannte. Dafür reichte es dann also doch noch nicht aus. Also klinkte mich, nach er sechsten Runde, wieder aus. Das war natürlich etwas bedauerlich, doch ich hatte ja noch etwas mehr Zeit vor mir.

Willkommen im Busch – jetzt aber wirklich

Nach etwa einer Stunde „Dirt Route“ erreichten wir unser Ziel, ein Reservat, angrenzend an den großen iMfolozi Park. Nun hieß es absitzen und alle Gepäckstücke auf ein bereitgestelltes Game-Drive-Fahrzeug umzupacken. Nachdem wir selber alle auf dem Game Vehicle Platz genommen hatten, trug uns der umgebaute, großmotorige Toyota unbeirrlich und gemütlich wackelnd über Stock und Stein, hoch und runter, die raue Piste entlang. Wir sahen bereit Zebras, Impalas und Kudus, überquerten mit dem Geländewagen einen Fluss und fuhren an so einiger schwarzer, verbrannter Fläche vorbei. „Ursprünglich war diesmal ein kontrolliertes Feuer gewesen. Aber dann hat der Wind Funken weitergetragen und nun ist viel mehr verbrannt als beabsichtigt gewesen war. Aber keine Sorge, in dem Gebiet in dem ihr unterwegs sein werdet, hat es nicht gebrannt“ teilte der Ranger des privaten Game Parks mit, als ob er meine Gedanken lesen konnte, denn ich hatte mir tatsächlich gerade ein paar Gedanken gemacht, ob wir die nächsten Tage nun bei strengem Geruch in einer Endzeit Umgebung umherwandern würden.

Der Geländewagen, der Motor und die ganze Karosserie musste wirklich arbeiten. „DAFÜR werden echte Geländewagen gebaut“, dachte ich, mit einem SUV kam man hier nicht mal 100 Meter weit. Zu rau war die „Straße“. Jeder Stoßfänger, jede Anbaute hat einen Sinn und musste einiges aushalten. Nichts war nur der Optik wegen angebaut worden, sondern musste seinen Zweck erfüllen und dabei überaus belastbar sein. Hier zählt Sein, nicht Schein. Mit dieser Perspektive eigentlich auch ein interessantes Motiv für ein Werk, denke ich gerade, als sich mal wieder das Gelände veränderte.

Die Farbdominanz wechselte von Schwarz zu Beige. Hier hatte es zwar nicht gebrannt, viel lebendiger war es aber auch nicht. „Im Winter ist es hier immer recht trocken. Erst im Sommer regnet es wieder mehr“ hatte mich Tom dazu am Sonntag aufgeklärt. Hier war wirklich alles andersherum als in Europa! Das Gelände wechselte abermals und nun wurde das Beige durch mattes Grün und sattes Rostbraun ergänzt. Ich spürte den Fahrtwind des offenen Geländewagens auf meinen Wangen, lauschte, neben dem tiefen Blubbern des Dieselmotors, den zwitschernden Vögel und beobachtete die Unmengen an rot-braunen Impalas, welche den staubigen, goldgelben oder rostroten Weg säumten. Diese Farben des Sandes, dazu das mannigfaltige Stahl-Grau der Wolken, das Blau des Himmels, das gedeckte matte Grün der Büsche und das Gelb der trockenen Gräser. Dies alles war einfach herrlich. Ich nahm einen tiefen Atemzug und genoss die Situation aus vollen Zügen.

Ich war glücklich. Genau dafür, für diese Bilder, diese Eindrücke war ich hierhergekommen. Was für ein Luxus, hier sein zu dürfen!

Nachdem ich meine Matratze aufgepumpt und alles im Zelt für die Nacht hergerichtet hatte, widme ich mich meinen neuen, tragbaren Solarpanelen. Nach einiger Frickelei mit einem mitgebrachten Band schaffte ich es, die Panels optimal gen Norden auszurichten (Hier ist der Norden sie Sonnenseite), sodass sie ab morgen früh maximal Sonnenlicht aufnehmen konnten. Denn Strom gab es tatsächlich nicht. Ich wusste, dass die Panels funktionierten. Nur wie gut, das hatte ich noch nicht getestet und ich war sehr gespannt. Die Konstruktion zog direkt Aufmerksamkeit auf sich und mein Nachbar, Chomp, fragte, ob er sein Handy bei mir laden könnte. „Warum nicht“ dachte ich. Meine Powerbank war voll und so kontne ich mal sehen, was die Panels auch bei Nachmittagssonne und vorbeiziehenden Wolken so leistetenn. Ich stöpselte das Handy von Chomp mit an die Solarpanels an und wendete mich dann meinem schmerzenden Finger zu, denn langsam verlor ich etwas Gefühl in der Fingerspitze. Das war nicht gut!

Poacher Stiefel

„Stellt euch mal alle in eine Reihe, Blick dort zum Baum“ sagte Dylan, nachdem wir uns nach der Holz-Sammel-Aktion und dem Einrichten des Camps für den ersten Walk, einen Erkundungsspaziergang, vor dem Camp getroffen hatten. Das kleine Camp war durch einen ca 2,5 Meter hohen Zaun umschlossen. Innerhalb dieses Zaunes waren wir sicher, konnten uns frei bewegen und auch in Flip-Flops unterwegs sein. „Außerhalb des Zaunes nur mit festem Schuhwerk und einer Sicherung – Sprich eine Person am Gewehr“ war die erste Ansage, als wir am Mittag das Camp erreicht hatten. Der Zaun sollte natürlich nicht vor Einbrechern schützen, sondern uns die wilden Tiere vom Hals halten. Also Hyänen, Büffel, Leoparden, Nashörner, Elefanten und natürlich den König himself – den Löwen. Ja, wir waren hier in einem „Big Five, Dangerous Game Reserve“ und hier galten besondere Regeln: Fortbewegung nur im „Train“, also hintereinander. Nicht reden oder sonst wie Krach machen. Nicht vor die Gewehrträger treten und das Wichtigste: Niemals (weg-) rennen!

„So und jetzt alle mal das linke Bein anheben und beim Nachbarn festhalten“ rief Dylan, während er sein Handy zückte und damit begann, von den Sohlen Fotos zu schießen. Ich war noch gespannt, um was für eine Teambuildingmaßnahme es sich hier handelte, da ich Dylan zu dem Zeitpunkt noch nicht sehen konnte, als dieser bereits die ganze Geschichte auflöst. „Ich mache Fotos von euren Schuhsohlen und schicke diese zu der Anti-Poaching-Einheit, den Anti-Wilderern. Falls diese auf unsere Fußabdrücke stoßen, können sie so direkt ausschließen, dass es sich hierbei um Wilderer handelt und binden sich nicht so lange mit uns und unseren Spuren“.

Nachdem alle Bilder verschickt wurden, begannen wir uns im Train langsam durch das Unterholz zu bewegen. Immer wieder hielt Dylan an und erklärte uns die vorgefundenen Spuren im Sand oder die Herkunft diverser Dung- und Kothaufen. Eine Spur hatte dabei seine besondere Aufmerksamkeit geweckt: Die frische Spur eines Black Rhinos, zu deutsch “Spitzmaulnashorn”, im Sand und ein noch feuchter Dunghaufen im Nashorn typischen „Midden“. 

„Schaut euch diesen Haufen hier mal genauer an“ forderte und Dylan auf und griff beherzt in einen noch feuchten Dunghaufen. „Seht ihr diese kleinen Zweigreste?“ Er pulte ein kleines Holzstück aus dem Dung heraus und hielt es hoch. „Das ist der Dung eines Black Rhinos. Das könnt ihr daran erkennen, dass hier Zweige im Dung enthalten sind, welche alle im 45 Grad Winkel „angeschnitten“ wurden. Ein Black Rhino ist ein „Browser“, [ein „Busch-Esser“] und ernährt sich von Zweigen von Büschen und niedrigen Bäumen. Sie haben spezielle Backenzähne, welche es ihnen erlauben, die Äste in genau diesen typischen 45 Grad abzutrennen. Wenn man so einen Midden mit frischem Dung gefunden hat, kann man von hier aus die Spur im Sand aufnehmen und das Tier verfolgen“ führte Dylan weiter aus und roch kräftig an dem Dung in seiner Hand. „Herrlich würzig“ sagte er grinsend. „Typisch für Black Rhino“. „Typisch für einen Ranger“, dachte ich dagegen und begann auch zu grinsen.

Wir folgten den Spuren und stießen nach einiger Zeit auf lange Streifen neben mehreren Fußabdrücken. „Hier hat der Rhino mit Urin markiert und dabei sein Bein hinterher gezogen, daher die Schleifspuren. Seht ihr diese kleinen Körnchen hier im Sand? Das sind Urinspritzer, die durch den Sand kleine Kugeln geworden sind“, erklärte Dylan und zerdrückte einige der kleinen Körnchen mit den Fingern. Dann horchte er auf einmal auf und deutete in Richtung Osten. „Red-billed Oxpecker“ [Rotschnabel-Madenhacker] flüsterte Dylan und schaute gespannt in den Busch. Der Oxpecker ist ein wichtiger Anzeiger Vogel, denn er ist typischerweise immer in der Nähe der Big Five, mit Ausnahme von Elefanten unterwegs, um diese von lästigen Parasiten zu befreien.

Wir verharrten gespannt, lauschten, vernahmen ein Knacken von Zweigen und sahen – ein graues Nashorn! Ein Black Rhino – ohne Horn. Dieses wurde ihm zum Schutz vor Wilderern unter Narkose entfernt. Dieser Eingriff ist für das Tier schmerzlos, aber sehr stressig. Doch er schützt überwiegend vor Wilderern. Überwiegend. Gerade letzte Woche sollen Wilderer hier in der Nähe ein „dehorned“ Nashorn erlegt haben, um auch an die nachgewachsenen fünf Zentimeter Resthorn ran zu kommen. Das ganze Zulu-Natal Gebiet ist berühmt für das verhältnismäßig hohe Aufkommen an White- und Black Rhinos – Leider entsprechend groß ist hier aber auch die Bedrohung von Wilderern, die die Hörner zu horrenden Preisen nach China verkaufen. Dabei handelt es sich tatsächlich nur um Horn. Das selbe Material wie Deine und meine Fingernägel!

Wir schlichen uns behutsam, vom Rhino unbemerkt, noch einige Meter näher ran und waren nun gut 40 Meter von dem Tier entfernt. Ich zückte meine Kamera und machte ein paar Fotos. Doch richtig gut wurden diese nicht. Ein Großteil des Tieres war hinter Büschen versteckt, ich sah überwiegend nur den Po und außerdem war das Nashorn halt – ohne Horn. Und genau darum ging es mir aber bei meinen Motiven mit den Nashörnern. „Dennoch eine gute Übung“, dachte ich mir und machte noch einige weitere Fotos, während uns Dylan auf eine Anomalie aufmerksam machte: Der Schwanz des Nashorns war ausfällig stumpf und kurz. „Woran kann das liegen?“ flüsterte Dylan in die Runde und erhielt nur fragende Blicke zurück. „Vermutlich wurde er mal, als er noch jung war, von einem Raubtier angegriffen und am Schweif erwischt, denn als erwachsene Tiere haben Nashörner eigentlich keine Feinde. Lasst ihn uns STOMPI nennen“.

Der Wind stand gut und so konnten wir uns vom Nashorn unbemerkt langsam wieder absetzen und unseren Weg durch das Unterholz weiter fortführen, als wir auf eine große Kuhle in einem Sandgebiet stießen. „Das war wohl bis gerade eben noch der Ruheplatz von Stompi gewesen“ erklärte Dylan und zeigte uns, wie wir anhand der Spuren auch zu dieser Schlussfolgerung kommen könnten – und wie das Tier wohl gelegen hatte.

“Manchmal findet man an solchen Stellen auch ganze oder zerplatzte Zecken, die sich durch den Druck beim Hinlegen gelöst haben”. Wir schauten interessiert genauer hin, konnten aber keine Zecken mehr erkennen. „OK, hier sind keine. Aber was seht ihr stattdessen?“ fragte Dylan und malte einen Kreis über eine bestimmte Stelle in die Luft. Das sind frische Vogelspuren!“ rief Otter. „Genau“ entgegnete Dylan, sichtlich zufrieden. „Vermutlich haben die Vögel die Zecken, die hier lagen, verputzt.“

“Gute Vögel” denke ich und wir setzten unseren Weg leise und bedächtig fort.

Als wir nach einigen Metern aus dem Unterholz auf eine große, durch die Abendsonne goldgelb gefärbte Fläche von Grasland traten, ging mein Herz vollkommen auf. Aufgrund all der überwältigenden Eindrücke, war ich voll mit Dankbarkeit und so glücklich, dass ich hier, zu Fuß, inmitten dieser Natur sein durfte! Wir leben auf einem echt schönen Planeten!

Da die Dämmerung langsam einsetzte, begaben wir uns nun langsam auf den Rückweg, wurden allerdings immer wieder durch Dylan aufgehalten, der allerlei Knochen von Büffeln, Warzenschweinen und Kudus fand und es sich nicht nehmen ließ, uns die Erkennungsmerkmale und Besonderheiten dazu zu erklären:

„Warum liegt dieser Knochen hier so ganz alleine?“ fragte Dylan beispielsweise und deutete auf einen etwa 40 cm langen, einzelnen Knochen. „Vielleicht Hyänen“Oder Geier“ kam es aus der Gruppe. „Genau, vermutlich Aasfresser, die den Knochen durch die Gegend geschleppt haben. Es könnte aber auch ein Porcupine [Stachelschweine] gewesen sein. Die Tiere essen alles. Auch Fleisch und Aas und manchmal auch einfach nur Knochen. So erhalten sie nämlich Kalzium und das brauchen sie für ihre Stacheln“ erläuterte Dylan.

Der Weg zurück führte uns über eine Anhöhe, durch allerlei rotes „Steinland“ und trockene Baumgerippe und die untergehende Sonne am Horizont erschuf eine etwas surreale Stimmung um uns herum.

„Heute Nacht wird es kaum Niederschlag geben“ erklärte Dylan, während er in den Himmel und zu den Wolken blickte. „Niederschlag kommt immer dann, wenn der Himmel klar ist. Dann empfiehlt es sich, sich unter Bäume zu legen, wenn man draußen schlafen will. Diese fangen den Niederschlag etwas ab. Merkt euch das für den Outsleep am Donnerstag.“

Kurz bevor es richtig dunkel wurde, erreichten wir gegen 17:00 Uhr das Camp und hatten damit unseren ersten Walk in der Wildnis nach 6,65 Kilometern und in drei Stunden hinter uns gebracht. Es war sehr schön und sehr eindrucksvoll gewesen. Doch nun war ich sehr hungrig und freute mich auf eine gehörige Portion Schlaf.

Nach dem Abendessen, es gab über dem Feuer gekochten Eintopf, sangen wir noch kurz ein Geburtstagsständchen für Otter, der heute seinen zwanzigsten Geburtstag hatte und erhielten im Gegenzug leckere  Schokoladentorte – im Busch. Ich grinste. Doch gar nicht ganz so rau hier”. Nach einem süssen Rooibostee mit Blick ins Feuer, überwältigte mich dann aber endgültig die Müdigkeit und ich verabschiedete mich in mein Zelt.

Das Zelt war top, sehr robust und verhältnismäßig groß. Es war sauber, kaum muffig und anders als bei der Hütte im Bhejane Camp, komplett dicht. Ich hatte meine Sachen überwiegend in Zip-Beuteln organisiert und nun alles irgendwie sinnvoll um mich herum drapiert. Meine eigene Luftmatratze war total bequem und mein Schlafsack gemütlich. Das kannte ich alles noch von Seatrekking mit Arne. Das hier war vertraut und daher gut. Nur die Liegeposition war… so lala. Ich lag nämlich etwas abschüssig und ein wenig im Hohlkreuz. Hoffentlich findet das mein Rücken nicht doof. Den brauche ich die nächsten vier Tage noch“.

Ich knipste das Campinglicht aus und horchte in die Umgebung hinein. Kein Straßenlärm! Herrlich. Ich freute mich auf die Geräusche der Nacht im Busch – als plötzlich eine angeregte Diskussion von zwei Mädels im Nachbarzelt neben mir einsetzte. Also doch wieder Oropax. Naja, irgendwas war ja immer.

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