„Welcome to the Bush“ stand auf einem Schild über der Treppe des „Bush Tavern – Pub & Grill“. Ich grinste. “Busch” war hier jetzt nicht wirklich. Ich hatte für ein paar Tage in einem Hotel direkt am Meer in eMdloti, bei Durban, eingecheckt. Dies war nur wenige Minuten vom Flughafen entfernt und hier wollte ich erstmal ankommen. Außerdem musste ich immer noch einigen Kram besorgen. Bettwäsche und ein Mückennetz sowie eine große Plastikkiste – zum Schutz der Nahrungsmittel gegen die Affen zum Beispiel. Doch der richtige Busch wartet schon sehnsüchtig auf mich. Oder war ich es, der sehnsüchtig war?
Komplett übermüdet zog ich den Duft des riesigen, frisch frittierten Fischfilets in meine Nase. Fish and Chips mit Meerblick. Also fast. Es war bereits dunkel und das Meer konnte man nur aus einem tiefen, schwarzen “Nichts” rauschen und brodeln hören. Doch dies reichte mir- Ich war müde und hungrig aber glücklich. Endlich war ich angekommen.
Als ich am Sonntagmorgen die Vorhänge aufzog, erwartete mich auf einem fast spiegelglatten indischen Ozean ein großartiger Sonnenaufgang. Ich öffnete die große Schiebetür und kroch zurück unter die warme Decke, um gemütlich die weite Aussicht zu genießen. Fünfzehn Grad kühle Luft strömte in mein Zimmer und ließ mich die Decke höher ziehen. Plötzlich sah ich draußen auf dem Meer viele kleine glitzernde Punkte, die sich zügig auf der Wasseroberfläche fortbewegten. Das waren doch nicht…Delfine! Abgefahren. Direkt vor meinem Fenster, in gut 600 Metern zog eine Schule von Delfinen vorbei. Ich versuchte ein Foto mit meinem Handy zu machen, aber der digitale Zoom zerstörte das Bild mehr als dass es gut wurde – Doch immerhin, man konnte etwas erahnen.
Nach ein paar Kräftigungsübungen auf der Terrasse mit Meerblick und einer kleinen Laufeinheit an der süssen Küstenstraße, trieb es mich am nächten Morgen, nach er Delfinbegegnung, in den 22 Grad warmen, aber nun wilden indischen Ozean. “Den werde ich so schnell auch nicht wieder erleben” dachte ich, während ich mich abtrocknete und barfuß wieder zu meinem Hotel zurück ging. Bei meinem anschließenden ausgedehnten Omelett-Frühstück schwammen erneut die Delfine am Horizont vorbei und bescherten mir das zweite Mal einen grandiosen Start in den Tag. Einzig die Menschen auf ihrem SUP, die unvermittelt in die Gruppe der Delphine gekommen waren, hatten wohl einen noch besseren Tagesbeginn.
Pünktlich um 11:56 Uhr meldete sich Olga per WhatsApp und teilte mir mit, dass sie vor dem Tor meines Hotels stand, um mich abzuholen. Olga war eine Mitarbeiterin und Instruktorin von Bhejane Natur Training, die geschickt wurde, um mich ins Camp nach Hluhluwe, oder genauer ins Kuleni Game Reserve zu bringen. Bhejane Natur Training, kurz BNT, wie ich später lernen sollte, war die Organisation, die ich ausgesucht hatte, um mich mit der ersten Rolle des “Rangers”, dem Nature Guide, vertraut zu machen. Stationiert in KwaZulu-Natal, ganz in der Nähe des berühmten Hluhluwe Imfolozi Game Reserves und nicht weit der von der Grenze zu Mosambik entfernt, wollte ich über diese Schule für Nature Guides ein rudimentäres Verständnis über die Wildnis aufzubauen, selbst die Ausbildung zum Nature Guide und Trails Guide durchlaufen und so Kontakte in die Wildnis und für zukünftige Expeditionen aufbauen.
Ich klappte meinen Laptop zu und schaute mich im Garten des familiengeführten Hotels um. Den großartigen Ausblick auf das Meer, den ich noch zum Frühstück genossen hatte, hatte ich zur näher rückenden Mittagszeit aufgeben müssen, da dort mittlerweile die heißen Sonnenstrahlen das Verweilen wirklich unangenehm gemacht hatten. Doch im Garten und im Haus war weit und breit keine Mitarbeitenden zu sehen. Erst in der Küche fand ich eine Köchin, welche gerade das Mittagessen für die Eigentümerfamilie der Unterkunft bereitete. Diese rief irgendwas, für mich Unverständliches in das Haus hinein und der junge Mann, der mich am ersten Abend auch empfangen hatte, kam aus den Tiefen des Hauses hervor gesprintet und öffnete hastig die massive, vergitterte Einfahrt.
Blubbernd rollte ein silberner, stark eingestaubter und abgenutzter Toyota Fortuna auf den Innenhof und eine schlanke, hübsche Frau in den Vierzigern sprang fröhlich grinsend aus dem Auto.
„I am Olga“.
Olga war, wie es der Name vermuten lässt, russischer Abstammung, hatte aber bis vor einigen Jahren noch in Deutschland gelebt. Doch nun hatte sie ihren gut bezahlten Job bei einer Bank an den Nagel gehängt und war, mittlerweile seit fünf Jahren, in den Busch nach Hluhluwe gezogen. Nachdem wir alle meine Sachen im Kofferraum verstaut hatten, fuhren wir wieder zum Flughafen, um zwei weitere Studenten abzuholen. Als wir auf den mir mittlerweile vertrauten Parkplatz des Flughafens einbogen, war ich auf einmal sehr froh, dass ICH es jetzt nicht war, der nach achtzehn Stunden Flug nun auch noch drei weitere Autostunden vor mir hatte. Es war mittlerweile wieder 28 Grad heiß geworden und der Asphalt auf dem Flughafenparkplatz glühte förmlich, während wir auf die beiden anderen warteten. Sorgenvoll erinnerte ich mich daran: Hier war gerade Winter! Wie soll denn der Sommer werden?
Plötzlich hielt ein großer, schwarzer Pickup neben uns. Die Beifahrertür wurde aufgerissen und ein breit grinsender, etwas kräftiger Mitte Zwanzig Jähriger sprang lachend auf die Straße. Es war Kyle, ein Kanadier südafrikanischer Abstammung. Olga und Kyle kannten sich offensichtlich bereits und umarmten sich herzlich. Er hatte ein paar Wochen bei seiner Familie in Südafrika verbracht und hatte also gar keine Flugzeit hinter sich.
Vlasti kam zwar mit dem Flugzeug, war aber ebenfalls Südafrikanerin. Ihr Flug war also auch keine achtzehn Stunden gewesen. Dann ging es ja. Sie wurde ebenfalls herzlich von Olga begrüßt und Kyle erklärte mir später im Auto, dass die beiden long-term Students waren. „Long Term“ bedeutete, wie ich lernte, dass die Beiden für drei Jahre Studenten bei BNT waren und in dieser Zeit fast alle Kurse belegten, die es im Nature Guiding Bereich in Südafrika gab. Nach diesen drei Jahren waren sie dann so gut ausgebildet, dass die meisten Lodges in den Game Reserves, die Arbeitgeber der zukünftigen Nature Guides, sich förmlich die Hände nach ihnen leckten. Dies war insofern bemerkenswert, da Südafrika unter einer sehr hohen Arbeitslosigkeit leidet. Doch auch der gute Ruf von BNT trug offensichtlich einen großen Teil zu er guten Vermittelbarkeit der abgehenden Studenten bei. Nun kamen die Beiden aber erstmal aus ihrer Semesterpause zurück und konnten es offensichtlich nicht erwarten, zurück in den Busch zu kommen. Ich mittlerweile auch nicht mehr. Nachdem wir auch Ihr Gepäck im Kofferraum des Geländewagens gequetscht hatten und Kyle uns einen Kaffee von Woolworths eingeladen hatte, (Juhu, ein weiterer Kaffee-Suchti) konnte unsere Reise in den Busch gegen 13:00 Uhr endlich losgehen.
Willkommen bei Bhejane Nature Training
Die Fahrt an sich war ereignislos. Je mehr wir in den Norden fuhren, desto rudimentärer wurden die Gebäude und desto mehr “People of Color” bevölkerten die Straßen. Bei unserem Tankstopp in Hluhluwe, 20 Kilometer vom BNT Camp entfernt, waren wir sogar die einzigen Weißen weit und breit. Alles, die Wände, die Bordsteine, die Reifen waren rostrot getüncht und der mittlerweile allgegenwärtige rote Sand hatte sich auf alle Oberflächen gelegt. Die Sonne stand bereits so tief, dass sie die Straße und Häuser in ein warmes Orange-Rotes Licht hüllte. Nach knapp achtzehn Minuten Fahrt lenkte Olga den Fortuna plötzlich nach links von der rau asphaltierten Straße ab und hielt vor einem großen Gatter aus stabilem Drahtgitter. Ich kannte diese Art der Gatter bereits aus meiner ersten Safari 2021. Sie sollten sicherstellen, dass keine wilden Tiere von dem großzügig eingezäunten Reservat auf die viel befahrenen Straßen gelangten und zu Tode gefahren wurden. Wir waren also da!
„Welcome to Bhejane“ sagte Kyle, mit einem breiten Grinsen, während Vlasti verschlafen ihren Kopf vom Kissen am Autofenster erhob. Nun aber wirklich, „Welcome to the Bush”. Olga steuerte den eingestaubten Fortuna auf eine freie Rasenfläche vor einem wohl früher mal weiß gewesenem Gebäude. Der rote Staub hatte mittlerweile aber die Wände zum Boden hin mit einer rotern Patina “verschönert” und erweckte so einen rustikalen und irgendwie „typisch afrikanischen“ Eindruck – zumindest hatte ich es mir so vorgestellt. Ich wollte gerade aussteigen, als mir Olga mitteilte, dass sie mich direkt vor meine Hütte fahren wird. Ich stutzte ein wenig. War es so weit weg? Wenn ich mir allerdings die Wege hier anschaute, weiche, rote Sandwege, war es doch ein guter Vorschlag. Wir waren allerdings keine 200 Meter gefahren, als Olga den Wagen schon wieder von dem Weg lenkte und vor einer dunkelbraunen, kleinen Holzhütte zum Stehen brachte.
Vor der Hütte stand Tobi. Tobi, ein kleiner, schlanker Mann in den frühen Zwanzigern, sein grünes Basecap tief ins Gesicht gezogen, war sehr freundlich und bemüht, jedoch verstand ich kein Wort. Er hatte so einen starken Akzent, dass ich mich schwertat, auch nur irgendein englisches Wort herauszuhören. “Ach du scheiße! Hoffentlich sprechen nicht alle hier so!” Ich verstaute mein Gepäck schnell in der Hütte und wurde anschließend von Toni zu den wichtigsten Orten geführt. Toilette, Dusche, Essraum, Feuerstelle und Gym! Ein Gym! Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet! Es war zwar sehr sehr rudimentär, aber es gab eine Hantelbank, Freihanteln und sogar ein Ergometer! Alles war leicht rostig und die Gewichte waren jetzt nicht für eine Massephase geeignet, aber es war immerhin etwas!
Meine Hütte selbst war sehr rudimentär, aber immerhin eine Hütte. Ich wusste ehrlich gesagt gar nicht, was auf mich zukommen würde – es hätte daher auch ein Safarizelt sein können. Die Einrichtung war auch sehr schlicht und einfach, erfüllte aber seinen Zweck. Ein kleines Bett, ein wackeliger Schreibtisch, ein Nachtschrank mit geflochtenen Fächern. Dazu noch allerlei offene Ablagefläche. Der Boden war mit dünnem, dunkelblau gemustertem PVC ausgelegt und an der Decke war eine kalt leuchtende LED-Lampe angebracht worden. Es gab also Strom. Super! Ich schaute nach oben. Das Dach bestand nur aus Blech, welches nach innen mit einer Art weißer Noppenfolie ausgekleidet war – “Das wird sicher interessant, wenn es mal regnet!”
Ich schaute mich ein weiter um wenig um. In den Ecken konnte ich etwas trockenen Mäusekot entdecken, hinter dem Regal flüchtete eine Schabe vor dem Licht meiner Taschenlampe und über dem Regal saß ein cremefarbener Gecko und schaut mich frech “grinsend” an. „Also doch Mitbewohner“, sagte ich laut zu mir. Den Gecko werde ich später rausschmeißen. Für die Schabe musste ich mir noch was einfallen lassen. Zu zimperlich wollte ich aber auch nicht sein. Schließlich war ich hier im Busch und hatte mit allerlei Getier gerechnet. Also erstmal mein Bett beziehen – Da klopft es an der offenen Tür. Es war Becky aus England, wie sie sich mir vorstellte. Sie wollte mich willkommen heißen und teilt mir mit, dass sie meine Nachbarin war. Zwischen ihr und mir wohnte nur noch Stefan. „Wenn Du irgendwelche Fragen hast, wende Dich gerne an mich. Ich weiß, wie es ist, hier neu zu sein“ sagte sie und verschwand dann wieder in ihrer Hütte. Sehr herzlich die Menschen hier! Ich drehte noch den einen Harken in die Decke und entfalte mein neues Mückennetz. “Top! Jetzt können die Viecher meinetwegen hier eine Party feiern – Ich bleib hinterm Netz in „Sicherheit“.
Weit entferntes Gelächter holte mich aus meinen Gedanken. Es kam vom Lagerfeuerplatz, wo sich anscheinend einige der Studierenden versammelt hatten. “Dann werde ich mich mal dazu gesellen und mich vorstellen”, dachte ich und verschloss die quietschende Tür. Mittlerweile war es fast dunkel geworden und die letzten Sonnenstrahlen zeichnen sich glühend am Horizont ab, wo sie mit der aufziehenden Dunkelheit eine intensive Komposition von Gelb, Rot und Lila zauberten. Am Lagerfeuer angekommen, wurde ich tatsächlich mit einem großen „Hallo“ begrüßt. Meine Kommilitonen waren super freundlich aber dem ersten Eindruck nach auch sehr jung. Anfang, Mitte zwanzig schätzte ich den Altersdurchschnitt und musste ein wenig schmunzeln. “Dann wollen wir mal den Durchschnitt etwas nach oben ziehen”. Offensichtlich hatten wirklich alle auf mich gewartet, denn nachdem ich mich neben Dominique, eine junge Brünette gesetzt hatte, ergriff sofort eine schlanke schwarze Studentin in Rangeruniform das Wort und bat alle, sich einmal kurz vorzustellen. Der Clou: Dabei etwas über sich erzählen, was die anderen auch noch nicht wussten. Das schien einigen recht schwer zu fallen. Manche hatten sogar mit ihrem eigenen Namen Probleme, aber die meisten schafften es dann doch, sich eloquent und sympathisch vorzustellen. Bei mir war es einfach. Keiner kannte mich. Also nannte ich kurz meinen Namen und woher ich kam. Mehr Details behielt ich erstmal bewusst für spätere Zwiegespräche für mich.
Pünktlich um 18:00 Uhr wurde dann das Essen eröffnet. Ein Tisch nach dem anderen stand geschlossen auf und begab sich zu den freundlichen, schwarzafrikanischen, gut kräftigen Damen, den “Aunties” und ließ sich das Essen auf einen Blechteller auftun. Diese Art der Teller gibt es in Deutschland auch. Dort werden sie meistens als Deko und Stilmittel von hippen Lokalen genutzt. Hier war es aber einfach das Geschirr.
Zu essen gab es Reis mit Kartoffeln und eine Art Rindergulasch. Darüber waren die meisten sehr erfreut und man gab mir zu verstehen, dass es meistens irgendwas mit Hühnchen gibt. Einige können schon kein Hühnchen mehr sehen. Gut, dass ich kein Vegetarier bin und Hühnchen mag. Sonst bliebe mir nur Reis mit Salat. Nach dem Essen wurden wir alle aufgefordert, wieder am Feuer Platz zu nehmen, um gemeinsam Lieder zu singen und sich Geschichten zu erzählen. „Storytelling“, hieß es hier ganz explizit. Es waren auch nicht einfach irgendwelche Leute, die irgendwas erzählten, wie ich anfangs vermutet hatte, sondern es waren bereits vorab einige bestimmt worden, denen diese Aufgabe heute zugefallen war. Ich muss schon sagen, es hatte schon etwas, mit knapp dreißig Leuten am Feuer zu sitzen und andächtig den Erzählungen einer einzelnen Person zu lauschen. „Schönes Ritual“, dachte ich – und wurde auf einmal hundemüde. Ich schaute auf die Uhr. 19:47 Uhr. “Puh, eigentlich könnte ich jetzt auch einfach ins Bett gehen. Wie lange das hier wohl gehen wird?“ Ich wollte ja auch nicht direkt am ersten Tag den Einzelgänger und Eigenbrötler raushängen lassen – Das würde noch früh genug kommen.
Als ob meine Gedanken gehört worden wären, endet die ganze harmonische Szenerie abrupt kurz um nach 20:00 Uhr. Fast alle sprangen daraufhin auf und gingen zielgerichtet irgendwo hin, sodass ich am Ende nur noch mit einem weiteren Kyle (scheint ein beliebter Name in Südafrika zu sein) und zwei anderen Jungs am Feuer saß. „Nun denn“, denke ich. „Dann werde ich auch mal gehen“. Ich verabschiedete mich, entschied mich noch spontan für ein Duschbad und fiel dann vollkommen erschöpft, aber zufrieden, in mein neues Bettzeug. „Fühlt sich gut an. Hab ich was gutes gekauft“, freute ich mich, während ich langsam meine Augen schloss und mich in die Neue Bettdecke einkuschelte.
Das neue Kapitel hatte begonnen.

